Konzerte

Classic Meets Rock

19.Januar 2010

Ehemalige Revolutionäre verkommen gerne mit zunehmendem Alter zu braven Salonlöwen, die nur zu gerne von den Großtaten der Vergangenheit leben, als sie noch relevant waren. So könnte man den Abend in der Jahrhunderthalle beschreiben, wenn man böse sein wollte. Das wollen wir aber nicht. Bleiben wir annähernd objektiv.

Die bestuhlte Jahrhunderthalle war fast ausverkauft, nur einige wenige Sitzplätze waren noch frei. Das Publikum mit einem Durchschnittsalter von ca. 50 Jahren ließ schlimmste Kitschexzesse befürchten. Dass diese dann ausblieben, war vor allem der Klasse der Protagonisten zu verdanken, allen voran Dan McCafferty, der unglaublichen Rockröhre der schottischen Legende Nazareth. Doch der Reihe nach.

Das frisch und unbekümmert agierende böhmische Symphonieorchester spielte zusammen mit der Rock Meets Classic Band um die beiden Primal Fear Haudegen Mat Sinner und Henning Wolter auf ordentlichem handwerklichem Niveau, wobei die klassisch ausgebildeten Musiker ein wenig zu den Hilfstruppen der Band degradiert wurden, was wohl am Gesamtkonzept des Abends lag. Trotzdem waren die Arrangements stilvoll und kräftig gehalten. Vor allem die drei bei den hart rockenden Teilen headbangenden Flötistinnen hatten wahrlich Sonderapplaus verdient!

Jeder der drei Sänger lieferte fünf Songs seiner Stammband ab. Den Reigen eröffnete der göttliche Dan McCafferty, der über eine der sensationellsten und bewegendsten Stimmen der gesamten Rockwelt verfügt, mit der 1982er Ballade 'Dream On'. Dass Nazareth vor allem eine waschechte, hemdsärmelige Hardrockband sind, ließ Dan mit 'Hair Of The Dog' (einfach göttlich: Orchestermusiker im Schwalbenschwanz singen den Teil "now you're messin' with a son of a bitch" mit! Früher undenkbar!), 'Holiday' oder 'This Flight Tonight' erkennen. Aber auch der größte Singlehit der Band, 'Love Hurts', wurde vom Publikum euphorisch angenommen.

Danach betrat der Originalsänger der AOR Band Toto die Bühne. Das Publikum reagierte euphorisch auf seine Darbietung, was mich ein wenig sprachlos zurückließ. Seine Vorstellung enthielt all das, was ich zuweilen an Rockmusik nicht mag: Aalglatte, aber professionelle Arrangements, der richtige Blick für die Kamera und reine Professionalität anstelle echter Gefühle. Mir war das zu abgezockt und zu sehr Broadwaymusik. Nach einem Rock'n'Roll Arbeiter wie Dan McCafferty konnten wohl nur Bankangestellte in der Midlife Crisis Bobby Kimball gut finden. Und die gab es augenscheinlich zuhauf. Er wurde mit Standing Ovations in die Pause geschickt.

Danach wurde es wieder besser. Lou Gramm, der vom Leben sichtlich gezeichnete Originalsänger von Foreigner, legte ein tolles halbstündiges Set hin, das die Balladen 'I Want To Know What Love Is' und 'Waiting For A Girl Like You' genauso enthielt wie die Rocker 'Juke Box Hero', 'Cold As Ice' und 'Dirty White Boy'. Deutlich in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt nach seiner Operation an einem lebensbedrohlichen Gehirntumor, bot er eine grandiose Vorstellung des Überlebenswillens und war der heimliche Sieger der Herzen an diesem Abend.

Danach war dann der offizielle Abschluss des Abends, aber die drei Herren kehrten noch einmal gemeinsam auf die Bühne zurück und intonierten jeweils zusammen einen Song der drei Bands. Und alleine die Orchesterversion des Nazareth Nackenbrechers 'Razamanaz' aus dem Jahre 1973 (damals eine der brachialsten Nummern aller Zeiten!) war schon ihr Geld wert! Nach etwa zwei Stunden Spielzeit fiel dann der Hammer und es blieb ein wohliges Gefühl zurück, bei diesem Event dabei gewesen zu sein. Lediglich Bobby Kimball hätte ich gerne durch echte Rocker wie Ronnie James Dio oder Ian Gillan ersetzt gesehen.

Eine kleine Panne musste ich dennoch verkraften: In der Pause hätte ich gerne ein Interview mit Dan McCafferty geführt, aber mein Handy gab nur absurde Geräusche von sich, so dass ich den Tourleiter nicht kontaktieren konnte. Zutiefst deprimiert ging ich in die Pausenhalle, in der ich dann zufällig Pete Agnew traf, den Bassisten von Nazareth, mit dem es dann immerhin ein schönes und entspanntes Spontaninterview gab. Doch davon demnächst mehr. Bleibt zum Abschluss nur noch eine Frage: Warum musste der mit großem Abstand geilste Sänger als erster auf die Bühne?

Frank Scheuermann






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