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Under The Pink (Deluxe)

Label: Atlantic Records (1994/2015)

Tori Amos Werk zählt bestimmt zu den weniger verdaulichen Platten der Musikgeschichte, die Menschen trotzdem immer wieder gerne auflegen, obwohl sie gerade nicht (zumindest nicht mehrheitlich) aus Liedern bestehen, die sich sofort in die Gehörgänge einschmeicheln.

Genau so verhält es sich auch mit Toris zweitem Solowerk (wenn man das Bandprojekt aus den 80er Jahren "Y Kant Tori Read" einmal großzügig vernachlässigt. Auch hier singt sie wieder mit gleichermaßen fragiler wie zugleich Stärke suggerierender Stimme Lieder über sich selbst und ihre Sicht der Welt. Stets emotional, selbst zutiefst ergriffen von dem Beobachteten, das sie in gut gewählte Worte gießt, Metaphern, die blanke Sprachgewalt genause verkörpern, wie reinste Empathie. Gefangen zwischen den Polen Verletzlichkeit und Dominanz - und genau dieses Spannungsfeld lässt mir nach fast zweieinhalb Dekaden Bekanntschaft mit Tori Amos' Musik immer noch die Kraftquelle und das Interessante am Hören dieser Lieder zu sein: Ein vom Schicksal gezeichneter Mensch, der in aufrechtem Gang genau ebendieses annimmt und genau wie der Sissyphos des Albert Camus aus eben seiner Endlichkeit und Schwäche die Kraft zieht, die den Menschen dann sogar den Göttern überlegen macht. Und um in Camus' Bild zu beliben: Wir müssen uns Tori als einen glücklichen Menschen vorstellen.

PS: Die Bonusdisc enthält 15 wundervolle zeitgenössische Aufnahmen von Tori. 

Frank Scheuermann

10/10