Reviews

Ridin' On The L & N

Label: Repertoire (2012)

Es gibt Fälle absoluter Ungerechtigkeit auf diesem Planeten. Knallköpfe werden zu Megastars und kompetente Musiker fahren bis zu ihrem Lebensende Taxi, um sich ihre Leidenschaft finanzieren zu können. So in etwa passierte es auch den Mitgliedern der britischen Bluesrockband Steamhammer. Die Jungs veröffentlichten zwischen 1969 und 1972 insgesamt vier Alben ("Steamhammer" aka "Reflections", "MK II", "Mountains" und "Speech"), die fast durchweg positiv aufgenommen wurden, aber zum großen Reibach hat es nie gereicht. Vor allem in Deutschland erfeute sich die Band bei den damals sehr in Mode kommenden Festivals größter Beliebtheit, da die Musiker eine Jam- und Spiellaune auf der Bühne entwickeln konnten, die ihresgleichen suchte.

Musikalisch war man an der Schnittstelle von Jethro Tull und Status Quo angesiedelt. Mit ersteren verband man die zuweilen recht komplexen und progressiven Arrangements, die auch vor Folk und Jazz nicht zurückschreckten, mit letzteren die Liebe zu straight losballernden Boogie. Es ist wohl symptomatisch, dass die Band nach dem ersten noch recht luftig-folkigen Album einen ersten Besetzungswechsel zu verzeichnen hatte: Gitarrist Martin Quittenden verließ die Truppe, um bei der Soloband von Rod Stewart anzuheueren und einen Welthit wie "Maggie May" mit ihm zu schreiben. "Mk II" fiel dann deutlich jazziger und experimenteller aus, zumal Instrumente wie Spinett und Querflöte ins Klangbild integriert wurden. Nach dem Abgang ihres Multiinstrumentalisten legte die zum Quartett geschrumpfte Band mit "Mountains" ihr wohl bestes Werk vor, das hälftig aus Live- und Studioaufnahmen bestand, unter anderem einer atemberaubenden Version des Jazzklassikers 'Ridin' On The L & N', die zurecht dieser Anthologie den Namen geben durfte.

Danach verließ Sänger, Harpspieler und Gitarrist Kieran White die Band, um Mitte der 70er Jahre ein einziges Soloalbum aufzunehmen und fürderhin LKW zu fahren, bis zu seinem viel zu frühen Tod 1995. Das verbliebene Trio nahm dann noch "Speech" auf, eine Scheibe, die recht kontrovers aufgenommen wurde. Manche sehen darin eine Ansammlung langatmiger, ideenloser Riffs, andere sehen gerade in dieser Scheibe die Geburtsstunde des Doom Metal.

Nach "Speech" war dann Schicht im Schacht, der Drummer verstarb an Leukämie und die beiden verbliebenen taten sich mit dem ehemaligen Yardbirds und Renaissance Sänger Keith Relf zusammen, um die grandiose einzige Scheibe der Band Armageddon einzuspielen. Auf "Ridin' On The L & N" sind fast alle Highlights der viel zu kurzen Bandhistorie dieser britischen Band versammelt. Der musikalische Gehalt ist über jeden Zweifel erhaben, die Verpackung sehr schön - wie fast immer bei Repertoire. Lediglich eine Frage drängt sich mir auf: Warum enden beide CDs schon bei etwa einer Stunde? Da hätte man wirklich jeweils noch 20 Minuten draufpacken können, dann wäre fast der gesamte Output auf einem Sampler gewesen. Schade.

Frank Scheuermann






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