Reviews

Colosseum
Transmissions Live At The BBC

Label: Repertoire (1969-71/2020)

Manchmal passiert es, dass Gebete erhört werden. Diese Veröffentlichung ist exakt ein solcher Fall. Ich erinnere mich, vor vielen Jahren schon Chris Farlowe in einem Interview exakt nach diesen Aufnahmen gefragt zu haben. Damals kam leider nicht viel mehr als öffentlich dokumentierte Ahnungslosigkeit, was ja auch verständlich ist. Wie soll der Künstler wissen, was aus 40 Jahre alten Livemitschnitten für das Radio geworden ist. So begrub ich damals alle Hoffnung auf eine umfassende BBC-Werkshau der Band, jenseits der wenigen Tracks, die es auf die 4CD Box geschafft hatten. Mit dem Ableben von Jon Hiseman, der treibenden Kraft hinter Colosseum schien dann endgültig der Haken hinter der Sache zu sein. Im letzten Herbst dann Hoffnung, als all die ehemaligen Bootlegs und Halbofiziellen Scheiben der klassischen Phase über das vorbildliche Repertoire-Label das Licht der Welt erblicken durften (kleiner Spoiler: Da wird demnächst noch wundervolles nachkommen!).

Und nun ziehe ich sie mit zittrigen Händen aus dem Briefkasten. Eine schmucke, kleine Box in unaufdrunglichem Design mit drei Miniatur Doppel-LP-Hüllen, die jeweils zwei CDs enthalten, dazu eine ordentliches Booklet mit reichlich Informationen, jedoch noch weit von einer Enzyklopädie entfernt. Mit dabei Erinnerungen einiger noch lebender Bandmitglieder.

Von der Frühphase, als sich ehemalige Musiker der Graham Bond Organisation und John Mayall's Bluesbreakers zusammentaten, um fürderhin die Grenzgebiete zwischen Blues, Jazz und der gerade erwachsen werdenden Rockmusik auszuloten, stammen die frühesten Aufnahmen der Studiosessions. Dass viele Songs auf diesem üppigen Sechserpack gleich in mehreren Versionen vorliegen ist gut vorstellbar bei einer Band, die es damals eben nur auf drei Studioplatten gebracht hat (1968: For Those About To Die 1969: The Valentyne Suite 1970: The Daughter Of Time). Aber genau das macht auch einen großen Teil des Reizes aus. 

Nur die letzte Studioplatte und das geniale 1971er Live-Opus sind in der mittlerweile legendären Besetzung Chris Farlowe (vocals), Clem Clempson (guitars), Dick Heckstall-Smith (saxophones, flute), Dave Greenslade (keyboards, vibes), Mark Clarke (bass) und Jon Hiseman entstanden. Clempson stieß erst währen der Aufnahmen zur Vantyne Suite als Sänger dazu, Clarke erst zur Daughter of Time, ebenso wie der göttliche Chris Farlowe.

Die Aufnahmen selbst, aus denen unter anderem Grobschnitts Eroc das Beste herausgeholt hat, unterscheiden sich qualitativ und in der Spielweise zum Teil sehr deutlich. Die frühesten Sessions auf CD 1 (ausgerechnet der Einstig in die opulente Kollektion) hat den mit weitem Abstand rustikalsten Sound und kommt über gehobenes Bootlegniveau leider nicht hinaus. Das bessert sich dann aber zusehends. Für mich sind die selten live gehörten Nummern von Valentyne Suite wie "Elegy" die echten Gewinner. Aber auch dieses freie Musizieren absoluter Könner bei den Aufnahmen ab 1970 ist einfach nur zum Mit-der Zunge-schnalzen.

Was ich auch interessant finde, ist die Genese eigener Songs aus Jamsessions über fremde Motive zu erkennen. So wird zum Beispiel hier sehr transparent, wie aus Procol Harum's "A Whiter Shade Of Pale" (okay, ist eigentlich von J.S. Bach) hier das Instrumentalstück "Beware Of The Ides Of March" wird. 

Dazwischen gibt es immer mal wieder Interviews, allen voran mit Jon Hiseman, den ich schon vor fast 40 Jahren kennenlernen zu dürfen ich das Privileg hatte. Vor allem die Momente, wenn er von der erwachsenen Musikwelt spricht mit anspruchsvollen "Pop-Fans", die anspruchsvolle Musik dem tanzbaren Kram vorziehen, denke ich mir: "Was ist da in den letzten Jahrzehnten wieder falsch gelaufen - wir waren schon weiter!"

Unterm Strich ist diese Sammlung ein echtes Magnum Opus, das jeder Fan progressiver Musik zwingend im Schrank stehen haben MUSS! Und der Preis ist ja auch überaus vertretbar! Nunj denn, haut rein! 

Frank Scheuermann

10/10