Reviews

1969-74

Label: Reprise Records (2020)

War aber auch mal allerhöchste Zeit! Vor etwa 15 Jahren wurde bereits die Peter Green Ära von Fleetwood Mac (genauer gesagt: Die Blue Horizon Phase) mit einem aufwändigen Boxed Set gewürdigt, danach wurden sukzessive die Platten der erfolgreichsten Bandepoch mit Lindsay Buckingham und Stevie Nicks als Boxen veröffentlicht (die sogenannte Warner-Phase). Nun musste es also sein: Die Zwischenepoche, die von der Band bei Reprise Records abgeliefert wurde, und die in meinen Augen den eigentlichen kreativen Höhepunkt der Band darstellt. Nicht mehr purer Blues, aber noch nicht amerikanischer Mainstream-Pop-Rock wie seit 1975. Die erste Platte "Then Play On" ist noch mit Peter Green entstanden und ist die erste Platte, die schon Danny Kirwan als Leadgitarristen enthält. Fleetwood Mac sind hier bereits zu einer psychedelisch-experimentellen Hardrockband mutiert, die mit einer dreiköpfigen Gitarrenarmee einen virtuosen Jamrock raushaut, der seinesgleichen sucht. Die neue Version enthält auch Singles wie "Oh Well" und "The Green Manalishi", welches der Metal-Gemeinde in der Coverversion von Judas Priest bekannt sein müsste, hier jedoch mit seinem schleppenden Tempo und den schrägen Läufen um einiges dämonischer aus den Boxen kriecht. Danach verließ Peter Green im LSD-Rausch die Band, weil diese nicht nur Free-Konzerte spielen und all ihren Besitz verschenken wollte. Heraus kam die Platte "Kiln House", die noch leichte Anklänge an die erste Phase hat, vor allem, wenn Jeremy Spencer zu seinen Elmore James-Huldigungen an der Slide Gitarre ansetzt. Ansonsten ist jetzt schon Christine McVie (ex-Chicken Shack) als festes Mitglied dabei, wo sie doch schon seit "Mr Wonderful" als Gastmusikerin an den Tasten bei der Band ihres Mannes John dabei war. Das erste richtige Highlight ist für mich die bereits ohne Jeremy Spencer, dafür aber mit Bob Weir entstandfene Platte "Future Games", die durch folkige Wohlklänge und progressive Arrangements auf Basis eines soliden Rockfundaments besticht. Produziert wurde die Platte von Martin Birch, dem kürzlich verstorbenen Starproducer, der u.a. auch Deep Purple und Iron Maiden zu Weltruhm verholfen hat. Dann meine persönliche Lieblingsscheibe "Bare Trees", die zwischen hartem Rock, countryesken Ausflügen, funky Beats und Balladen stilsicher und stets souverän hin und her wandert. Mit "Penguin", der ersten Platte nach dem drogenbedingten Ausscheiden von Danny Kirwan und den Neuzugängen Bob Welch und Dave Walker (ex-Savoy Brown und zukünftiger Kurzzeitnachfolger von Ozzy bei Black Sabbath), konnte man erstmals nicht ganz den Standard der vorherigen Veröffentlichung halten - trotzdem gut. Mit "Mystery To Me" kam man musikalisch und kommerziell wieder etwas weiter auf der Erfolgsspur. Die musste man dann wieder verlassen, weil Bob Weirs Affäre mit Mick Fleetwoods Frau nicht ohne Folgen blieb. Wer sich für diese Story interessiert, sollte mal die Entstehungsgeschichte der Band Stretch um Elmar Gentry googeln - spannende Sache. Nach Weirs Rausschmiss kam es noch zu "Heroes Are Hard To Find", das u.a. mit "Bermuda Triangle" einen bemerkenswerten Song hatte - nicht der einzige übrigens. Für mich stellt aber das im Dezember 1974 ohne Publikum in der Record Plant mitgeschnittene Konzert, vermutlich das letzte mit Welch und in der Viererbesetzung, das eigentliche Highlight dar. Von allem Bombast befreit, spielen und jammen sich Fleetwood Mac durch eine super Mischung aus Peter Green-Songs und späteren Highlights. Mit einer Virtuosität an der Gitarre, die so spielerisch daherkommt, dass man zu Tränen gerührt ist, wenn man bedenkt, dass dies der Schwanengesang dieser Truppe sein sollte. Naja, wenigstens die Bankkonten konnten dann in der Nicks Ära so weit aufgefüllt werden, dass sogar die exorbitanten Kokainrechnungen keine Rolle gespielt haben. Hier jedenfalls in all ihrer zu Unrecht ignorierten Großartigkeit: Die Reprise-Jahre von Fleetwood Mac!

Frank Scheuermann

9,5/10