Stories

Girlschool
Oktober 2008

Am 30.10.08 machte ich mich auf zur Halle 101 in Speyer, um mir Girlschool mal wieder live anzusehen. Doch zuvor traf ich Denise Dufort (drums) und Jackie Chambers (guitar, vocals) in einer gemütlichen Kneipe zum Interview. Bei dem einen oder anderen kalten Bier sprachen wir über Gott und die Welt – und natürlich über die Band. Dabei kamen sensationelle Dinge ans Tageslicht.

Im Zentrum des freundschaftlichen Gesprächs steht zunächst der tragische Tod der ehemaligen Gitarristin Kelly Johnson, die 2007 an Krebs verstarb. „Jeder liebte Kelly. Sie war meine beste Freundin und ich vermisse sie jeden Tag. Fast alle meine Songs auf „Legacy“ handeln von ihr“, sagt Jackie Chambers, die von Kelly als ihre eigene Nachfolgerin mit ausgesucht worden ist. „Ich fühle immer noch ihre Präsenz.“ Und wie ein Zeichen aus dem Jenseits, fällt mein Aufnahmegerät just in diesem Moment um. „Kelly!“ schreien in diesem Moment die beiden Mädels, nur um gleich darauf in lautes Lachen auszubrechen. „Wir hatten ihr versprochen, dass sie auf der neuen Platte dabei sein wird. Aber als wir dann im Studio waren, hatten wir zunächst keine Vorstellung, wie wir dieses Versprechen einlösen könnten. Plötzlich hatten wir diese Idee mit ihrer Asche und den Chicken Shakes (eiförmiges Percussioninstrument)….“, ergänzt Denise Dufort. Langer Rede kurzer Sinn: Die verbliebenen Mädels füllten mit der Genehmigung von Kelly’s Familie einen Teil von ihrer Asche in diese Rassel und benutzten diese bei verschiedenen Songs der neuen CD! Als ich die beiden frage, ob man diese Musik „Death Metal“ nennen könnte, gibt es am Tisch kein Halten mehr! „Kelly hätte diese Aktion geliebt! Es war genau ihre Art von Humor“, lässt Jackie verlauten, die sich in der Öffentlichkeit nur noch mit „Kelly Johnson Gedächtnis T-Shirts“ zeigt. Jackie sollte eigentlich schon vor dem Wacken Gig 1999 einsteigen, aber ein Debut vor 30000 Fans war ihr doch zu gewagt. Darum blieb Kelly damals noch einen Auftritt länger als ursprünglich angedacht.

Im Anschluss nähert sich das Gespräch der neuen Scheibe „Legacy“. „Ja, wir hatten viele Gäste. Neil Murray ist seit langer Zeit ein guter Freund von uns und war immer in der Nähe. Darum lag es auf der Hand, dass er einfach einmal vorbeikommt und die eine oder andere Spur einspielt. Eine Freundin von uns lebt mit Simon Wright zusammen, der ja bei Dio trommelt. Über ihn kam dann der Kontakt zustande. Wir schickten Dio einfach die Bänder von „I Spy“, das ja tierisch nach Black Sabbath klingt, und er legte einfach seine Gesangsspur darüber. Danach dachten wir: Okay, wir haben jetzt Dio. Warum nicht gleich Iommi????? Und so ließen wir Tony das Band zukommen und er spielte ein geniales Solo dazu.“ Beim Thema Gäste auf Legacy kommt man an den Namen Motörhead nicht vorbei, schließlich gab es in den letzten drei Jahrzehnten immer wieder Berührungen zwischen beiden Bands und eine ganz tiefe Freundschaft verbindet beide Gruppen. „Ja, das hat damals angefangen, als Lemmy unsere erste Single „Take It All Away“, die wir beim Independent Label City Records aufgenommen haben gehört hatte und uns unbedingt als Vorgruppe für die erste richtige Motörhead Tour wollte (Overkill-Tour!). Seitdem haben wir viel zusammen gemacht, z.B. die „St. Valentine’s Day Massacre“ EP. Wir haben gerade vor kurzem „Please Don’t Touch“ von dieser EP erstmals überhaupt und dann zusammen mit Lemmy live aufgeführt. Wir wollten die Nummer proben, aber Lemmy sagte, das sei nicht nötig“ sagte Denise. Und Jackie ergänzte: “Dann standen wir zusammen auf der Bühne und keiner wusste, in welcher Tonart die Nummer war! Das war ganz schön peinlich, aber am Schluss hat es dann doch gut gerockt!“ Lemmy ist auf der Nummer „Don’t Talk To Me“ gleich dreifach zu hören…“Das war lustig….Wir haben Lemmy gefragt, ob er mitmachen möchte. Er hat uns daraufhin ein Fax geschickt, auf dem stand: Was soll ich tun? a) singen b) Bass spielen c) Triangel spielen? Wir haben alle drei angekreuzt und darum spielt er am Ende dieser Nummer diesen Triangelton!“ Ob Lemmy denn immer noch seine alten Stiefel aus den 70er Jahren trägt will ich wissen. „Oh, Du meinst die weißen? Hehe, er kam tatsächlich ins Studio und hatte neue dunkle Stiefel an….unglaublich!“ „Auch Eddie und J.J. von Twisted Sister sind im Studio aufgetaucht und haben jeweils ein Solo gespielt. Die kennen wir auch seit vielen Jahren und einigen gemeinsamen Tourneen. Phil Campbell (ebenfalls Motörhead) kam an einem Nachmittag vorbei, spielte mal schnell sechs Soli und sagte: ‚Wenn Ihr was brauchen könnt, dann nehmt es einfach!’, was wir dann auch gleich mit zwei Soli gemacht haben. Außerdem wollten wir unbedingt „Metropolis“ covern und darum lag es nahe, Fast Eddie Clarke anzurufen. Der hat dann auch keine Sekunde gezögert, das für uns noch einmal aufzunehmen.

Nicht nur die Gäste auf „Legacy“ haben es in sich, auch die Songs. „Legacy“ ist nicht nur in meinen Ohren die druckvollste und beste Girlschool Platte (zumindest seit zweieinhalb Jahrzehnten). „Ich habe die Platte als Möglichkeit benutzt, mich von Kelly zu verabschieden. Enid hat dann mehr die politischen und sozialkritischen Nummern verfasst“, ergänzt Jackie. Vor allem die Überhymne „Spend Spend Spend“, die vom Kommerzrausch in der heutigen Zeit handelt sticht hier hervor. Aber auch „I Spy“, dessen Titel die englische Variante des Kinderspiels „ Ich sehe was, was du nicht siehst“ darstellt und das sich inhaltlich mit den mittlerweile überall in England angebrachten Überwachungskameras beschäftigt, ragt hier deutlich aus der Masse sonstiger Veröffentlichungen heraus. Ein großes Verdienst bei der Klasse der neuen Songs kommt wohl Bassistin Enid Williams zu. “In den Jahren, in denen sie nicht zur Band gehörte, studierte sie klassische Musik und Komposition. Sie dürfte daher die versierteste in unserer Band sein“, gesteht Jackie neidlos zu.

Weiter gehende Pläne gibt es augenblicklich nicht. Erst wird die Tour zu Ende gespielt. „Natürlich hoffen wir, dass wir wieder eine Platte machen können“, meint Denise schelmisch. „Ich habe ja schließlich nichts anderes gelernt!“ „Aber in der heutigen Zeit mit den ganzen Downloads aus dem Internet weiß man nie, wie es weitergeht“, ergänzt die blonde Gitarristin, die sich selbst als „glücklich geschieden“ bezeichnet (sie war früher mit dem Diamond Head Bassisten verheiratet), nachdenklich. Auch Denise hat verwandtschaftliche Beziehungen zu anderen Metallegenden vorzuweisen. „Mein Bruder war Schlagzeuger bei Angel Witch, auf deren legendärer ersten Platte!“ ließ sich der kugelförmige Temperamentsbolzen sichtlich stolz vernehmen. In diesem Augenblick wird mir nochmals klar, welche bedeutenden Metalerinnerungen mir gegenüber sitzen! Die gesamte NWoBHM zieht an meinem geistigen Auge (bzw. Ohr) vorüber.

Für eine sofortige Landung in der Realität sorgen jedoch die beiden Frauen, als sie sich über ihre Gewohnheiten auf Tour unterhalten. Denise trinkt gerne Jim Beam und gelegentlich Jägermeister, ist ansonsten auf deutsches Bier fixiert, das sie aber zuhause wieder gegen die „pisswarme Brühe“ eintauscht. Jackie liebt Jackie (Daniels), aber nicht bis zum Umfallen. „Denise pennt auf Tour fast den ganzen Tag, damit sie abends bei den Gigs fit ist. Wir anderen gehen meistens die Städte anschauen. Heute waren wir z.B. schon im Technikmuseum und im Dom. Auf dieser Tour spielen wir mit Benedictum, die übrigens eine tolle Band sind, ab und zu im Wechsel. Wir sind zwar die Headliner, aber wir haben sie auch schon als letzte auf die Bühne gelassen.“

Nach etwa einer Stunde müssen die beiden leider zum Soundcheck. Wir hätten uns noch tagelang unterhalten können. Aber wie Jackie zum Abschied sagte: „Hoffentlich sehen wir uns bald wieder!“ Eine rein professionelle Floskel? Nein, sicher nicht! Dafür sind die Mädels zu echt!

Frank Scheuermann